Saison 2008/2009

17./18./19.07.2009 | Philharmonie
Edward Elgar: The Dream of Gerontius
Dirigent: Sir Andrew Davis

SZ (Feuilleton) vom 20. Juli 2009
Imposante Seelenwanderung
Sir Andrew Davis dirigiert Elgars "Dream of Gerontius" in München
(...) Dieses an Anspruch, Schwierigkeit, Besetzung und Ausdehnung höchst ambitionierte Chorwerk ist in deutschen Sälen leider nur selten zu hören. Die dumme Arroganz, mit der englischer, auch französischer Musik um 1900 jenseits von Debussy und Ravel und sonst nichtdeutscher Musik begegnet wurde, hat es lange verhindert, solche höchst anderen Musiklandschaften wahrzunehmen, gar sie interessiert kennen zu lernen.
Sir Andrew Davis jedenfalls leitete die Münchner Philharmoniker und den Philharmonischen Chor, sorgfältig einstudiert von Andreas Herrmann, so wach und souverän, führte als erfahrener Lotse so sicher wie leidenschaftlich durch dieses weite, ungemein abwechslungsreiche Klanglabyrinth, dass Elgars Traum einer Seelenreise vom irdischen Tod zur spirituellen Verklärung zu Recht ovationsartig gefeiert wurde. "The Dream of Gerontius" ist in England neben Händels "Messiah" und Mendelssohns "Elias" das meistgespielte Oratorium, einmal als Monument jenes Selbstbewusstseins, das das britische Empire prägte, vor allem aber wegen seiner staunenswert vielfarbigen Musik. Elgar sollte zur Jahrhundertwende ein großes Werk liefern mit religiösem Sujet. nach einigem Suchen verfiel der katholische Komponist auf das 1865 entstandene Epos des Kardinals John Henry Newman, in dem die Seele des Gerontius nach dem Tod, vom Schutzengel geleitet, schließlich vor den Höchsten tritt, gerichtet und gerettet wird und ins Fegefeuer kommt.
Was Newman theologisch ausführlich begründet, hat Elgar kühn auf den Kern zugespitzt, die Verklärung eines reuigen Sünders. Bewusst verzichtet er auf Choräle und "diesen Kram" und schrieb eine "gute, gesunde, lebensvoll romantische, zutiefst weltliche Musik". Die Dämonenchöre komponierte er als furiose Doppelfuge, für den entscheidenden Moment vor dem letzten Gericht wählte er zartestes Pianissimo, der Sänger flüstert fast. Wenn die Engel zum Lobpreis ansetzen, entfaltet Elgar eruptiven Glanz, ein strahlendes Fortissimo des gesamten Apparats. Das die Münchner Aufführung so vortrefflich gelang, lag auch an den Solisten: Barry Banks sang die Riesenpartie des Gerontius in jedem Moment, jeder Phrase, jeder dynamischen Nuance fesselnd mit weit tragendem, hellen tenor. Peter Rose war in Erscheinung und basstiefer Stimmpräsenz ein eindringlicher Priester und ein überzeugend dunkler Todesengel, während Catherine Wyn-Rogers als Schutzengel Wärme und Leuchtkraft verströmte. Es wäre schön, Elgars "Gerontius" öfter zu begegnen, vorausgesetzt, er wird so beispielhaft realisiert wie hier.
Harald Eggebrecht

MM vom 20. Juli 2009 / tz vom 20. Juli 2009
Musizieren in der Krise / Wie man die letzten Dinge regelt
Die Philharmoniker mit Edward Elgars "Dream of Gerontius"
"Bald wir die Nacht deiner Prüfung beendet sein": Dass sich die Münchner Philharmoniker ausgerechnet mit einer Verklärung des Fegefeuers in die Sommerpause verabschieden, zudem mitten in der Krise um ihren Chef Christian Thielemann, das könnte von einem Schwarzhumorigen nicht besser geplant sein. Wie also Edward Elgars "Dream of Gerontius" packen? Jenes Oratorium zwischen Herbstlaub-Harmonik und maßloser Liturgie, die eher nach Krönung in Westminster dröhnt?
Am besten so wie Dirigent Andrew Davis. Der weiß genau um die Architektur des 100-Minüters: wo er den Dynamikregler beherzt und kurzzeitig hochfahren kann, wo straffe, temperamentvolle Führung statt musikalische Überhitzung gefragt ist. Und er weiß, dass er das Riesenensemble immer wieder in die Entspannung zurückholen muss, in eine eigentümlich gebrochene, nie gefühlige Lyrik. Bewundernswert, wie selbstverständlich und geschmeidig das Orchester, vor allem aber der Philharmonische Chor auf Davis eingingen, mit welchem Klangbewusstsein sich die Sänger diese doch eher fremde Partitur eroberten.
Insofern erlebten die Gasteig-Besucher so etwas wie die authentische Aufführung. Zumal Davis Solisten dabei hatte, die bestens mit dem Werk vertraut sind. Barry Banks mag als Gerontius nicht dem geforderten Ideal des empfindsamen Helden entsprechen. Sein scharf konturierter, klug geführter Rossini-Tenor ist jedoch perfekt für diese Akustik. Catherine Wyn-Rogers imponierte als souveräne Stilistin, Peter Rose mit machtvollem Prophetenton. Große Begeisterung - so hochkulinarisch angerichtet, lässt man sich die letzten Dinge doch gern gefallen.
Markus Thiel

AZ (Kultur) vom 20. Juli 2009
Dank dem Dirigenten auf dem Weg ins himmlische Glück
Die Philharmoniker mit Elgars Oratorium "Der Traum des Gerontius"
In Bayern, einem "katholischen Land", fühlte er sich wohl. Der Engländer ging in seiner Liebe sogar so weit, dass er "Bavarian Dances" komponierte. Auch Wagners "Karfreitagszauber" aus dem "Parsifal" hatte es ihm angetan. Er arrangierte das Stück für kleines Orchester.
Dass die Münchner Philharmonikeran den hierzulande wenig geschätzten Spätromantiker Edward Elgar (1857-1934) erinnerten, ehrt sie. (...)
Vor allem die Titelpartie benötigt einen Sänger mit Kraft, Durchhaltevermögen und Ausdrucksqualitäten. Tenor Barry Banks meisterte sie in der Philharmonie mit hinreißender Intensität. Die Aufführung gelang besser als das Stück in seiner sentimentalen Plüsch-Melodik ist. Das lag vor allem am Dirigenten Sir Andrew Davis, der den von Andreas Herrmann prächtig präparierten Philharmonischen Chor und das Orchester mit grandioser Selbstverständlichkeit zu Höchstleistungen anspornte.
Weil auch die anderen Solisten aus England kameen, war die authentische Wiedergabe garantiert: Peter Rose hatte als Todesverkünder kernig-überzeugende Bass-Töne parat, Schutzengel Catherine Wyn-Rogers wies, standfest wie Brünhilde, dem reuigen Gerontius den Weg ins himmlische Glück.
Volker Boser


28.06.2009 | St. Katharina Wolfegg
(im Rahmen der 20. Internationalen Konzerte Wolfegg 2009 in Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Staatsorchester)
Ludwig van Beethoven : Missa Solemnis D-Dur
Dirigent: Manfred Honeck

Südkurier vom 01.07.2009
Erhabenes Hochamt
Tief beeindruckt wirkten in Wolfegg die Zuhörer von der Aufführung der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven in der Pfarrkirche St. Katharina unter der souveränen Leitung von Manfred Honeck. Er setzte dazu nicht nur den von Andreas Herrmann gut vorbereiteten und wohldisponierten Philharmonischen Kammerchor München und das Württembergische Staatsorchester Stuttgart ein, sondern gab der reich differenzierten Messegestaltung auch mit den vier hervorragenden und souveränen Gesangssolisten weiteren Glanz.
"Von Herzen - möge es zu Herzen gehen" (wohl auch die Intention des Dirigenten) schrieb Ludwig van Beethoven (...)
Schöne piano-Kultur zeigte der Chor schon in den sich oft wiederholenden Kyrie-Einwürfen und den dezenten Echo-Effekten bei leise verhauchendem Schluss.
Nach enthusiastischem Anlauf dees Orchesters stieg das "Gloria"-Motiv tonleiterartig in allen Stimmen zu kraftvoller Entfaltung empor. Bei "in terra pax" der gut präsenten Bässe ebbte der Sturm ab, um bei "laudamus te" neu an Kraft zu gewinnen. Mit dem "glorificamus te" schloss sich eine freudige und souverän durchgezogene Fuge an, kontrastiert von der Ausdruckstiefe des "qui tollis" bei harmonischem Wechsel von Chor und Solisten. (...) Tief nachempfunden wirkte das "qui propter" wie auch der Trauergesang des "passus", wovon sich das freudig artikulierte"et resurrexit" und das staccatoartige "et vitam" abhob. Absolute Stimmsicherheit verriet der Chor auch bei der stürmischen Bewegung des "et vitam" und dem ungewöhnlich weit ausgezogenem "Amen".
Statt "majestätisch feierlichem Glanz" beim Sanctus überschrieb Beethoven den Satz "Mit Andacht". Und so wurde er auch vom wohlabgestimmten Solistenquartett interpretiert, worauf fugierter Chor-Jubel des "Osanna" folgte und in das "Benedictus" mit dem Violinsolo für einen ätherischen Klang überging. Ausdrucksvoll waren die Bitte um Frieden beim "Agnus Dei" intoniert und die Wechsel von ineinanderfließenden Passagen von Chor und Solisten vollzogen. Das ist bei Beethoven kein schwermütiges Flehen, sondern eine freundliche Vision, wie sie Honeck auch nachvollziehbar rübergebracht hat.
Von Anfang an waren die Gesangssolisten stark in die Wechsel mit dem Chor einbezogen. Und das geschah einmal in absoluter und wohlabgewogener Homogenität des Quartettgesangs wie voll überzeugender Solopartien. Die Sopranistin Simone Schneider führte selbst in den höchsten Lagen einen kraftvollen Ton ohne Schärfe. Gerhild Romberger gab mit ihrem warmen Alt ihren Passagen stimmigen Ausdruck, wie auch Johannes Chum mit sehr ausgeglichenem und schlankem Tenor den Quartettklang sensibel mitfärbte. Doch die Bravourleistung brachte Franz-Josef Selig in dem würdig angelegten Bass-Solo des Agnus Dei.
Auf brilliant sinfonische und mitgehende Begleitung konnte sich Manfred Honeck bei seinem Staatsorchester Stuttgart verlasen, das mit weichem und sauberen Bläserklang klangliche Höhepunkte schuf und ganz auf die gestaltenden und tiefgehenden Intentionen des Dirigenten einging.
Franz Josef Lay

Schwäbische Zeitung (Feuilleton) vom 30.06.2009
Zwanzig Jahre Internationale Wolfegger Konzerte
, fünfzehn davon unter Leitung von Manfred Honeck: Mit frechen Saxophonklängen, einer rauschenden Operngala im Rittersaal und der bewegenden Aufführung von Beethovens „Missa Solemnis“ in der Kirche wurde am Wochenende musikalisch glanzvoll Geburtstag gefeiert, unter herzlicher Anteilnahme von Fürstenhaus und Publikum.
(...)
Wie immer bot das geistliche Konzert in der Kirche St. Katharina einen abschließenden Höhepunkt, bei dem im Zusammenwirken von Honeck und seinem Orchester mit dem Philharmonischen Kammerchor München und dem ausgewogenen Soloquartett der spirituelle Gehalt der großartigen „Missa Solemnis“ den gebührenden Raum einnahm. Ob in den flehenden Kyrie-Rufen, der dramatischen Wucht des Gloria oder des Hosanna-Jubels, den grandios gesteigerten Chorfugen oder der außergewöhnlichen Verbindung von Krieg und Frieden im Agnus Dei: Beethovens Messe entfaltete ihre ungeheure Kraft, hier wie in der wunderbaren Konzentration des „Et incarnatus est“ oder im selig schwingenden „Benedictus“, in dem die Solovioline eine besondere Aura erzeugt. Die Stimmen von Simone Schneider, Gerhild Romberger, Johannes Chum und Franz-Josef Selig verschmolzen zu einem harmonischen Quartett, der Chor in der Einstudierung von Andreas Herrmann meisterte seine schwere Aufgabe souverän und flexibel in Honecks dynamischer Ausdruckskraft.
KATHARINA VON GLASENAPP

Vorarlberg Online am 29. Juni 2009
"Hohepriester der Musik"
Manfred Honeck deutet Beethovens "Missa Solemnis" ganz aus dem Glauben
Das Ereignis für die Region war vorprogrammiert, dennoch übertraf die Wucht der Eindrücke auch kühnste Erwartungen. Spannender, aber auch gläubiger als der Dirigent Manfred Honeck kann man Beethovens "Missa Solemnis" wohl nicht deuten. Ein fulminantes Finale seiner Wolfegger Konzerte am Sonntag. In der prachtvollen barocken Pfarrkirche summieren sich musikalische, optische und auch religiöse Eindrücke zu einem Gesamtbild von enormer Eindringlichkeit. (...)
Für die Umsetzung seiner Vorstelungen steht ihm eine Besetzung zur Verfügung, die man schlicht als Idealfall bezeichnen kann. Honeck hat "sein" Staatsorchester Stuttgart mitgebracht, das ihm sichtlich zugetan ist und auch auf kleinste Details präzise und klangschön reagiert. Und dessen Konzertmeister Wolf-Dieter Steicher das Violinsolo im Benedictus ganz unprätentiös gestaltet. Der Philharmonische Kammerchor München beherrscht seine komplizierte und strapaziöse Partie brilliant, in der der bereits ertaubte Beethoven von den Sopranen das hohe C einfordert, von der ausgedehnten Fuge des "Gloria" über das stille "Benedictus" bis zum aufregenden "Agnus Dei", dessen Wettstreit zwischen Kriegsgeheul und Friedensbitte der Chor mit überzeugenden "Pacem"-Rufen für sich entscheidet.
Ein luxuriös besetztes, ungemein homogen klingendes Solistenquartett mit ersten Kräften wie der atemberaubenden Sopranistin Simone Schneider, der gefühlvollen Altistin Gerhild Romberger, dem edlen Tenor Johannes Chum und dem schwarzen Bass von Franz Josef Selig setzt immer wieder besondere vokale Glanzpunkte.
Fritz Jurmann


05./06./07.06.2009 | Philharmonie im Gasteig
Alfred Schnittke: Seid nüchtern und wachet (Eine Faust-Kantate)
Dirigent: Andrey Boreyko

SZ vom 08.06.2009
Fausts Schlachtfest
Andrey Boreyko dirigiert die Münchner Philharmoniker
(...) Die Münchner zeigten sich begeistert von Alfred Schnittkes Werk, das dieser 1982 für die Wiener Festwochen schrieb und später als dritten Akt für seine Oper "Historia von D. Johann Fausten" verwendete. Das Libretto verfasste der deutsch-russische Komponist selber, und zwar auf der Grundlage des 1587 von Johann Spies als vorgebliches Faust-Volksbuch verfassten Epos".
Schnittke dampfte dabei aber die ganze Geschichte auf einen religiösen Konflikt ein, auf Herrgott und Teufel - kein Gretchen nirgends und auch sonst nichts Menschliches. Formal orientierte sich Schnittke im Groben an Bachs Matthäus-Passion, aus der er die Idee eines tenoralen Erzählers und die multifunktionalen Chöre ableitete. Und gleich zu Beginn, wenn Friedemann Winkelhofer an der Klais-Orgel zusammen mit den Münchner Philharmonikern und dem Philharmonischen Chor baldmöglichst ins Fortissimo stürzt, zeigen sich auch die groben Unterschiede in der Haltung Bachs und Schnittkes. Wo bei Bach aus seiner musikalischen Text- und Szenenbehandlung heraus auch unmittelbare Anschaulichkeit entsteht, die bei aller plakativen Eindringlichkeit doch eher dem religiösen Tafelbild entsprechen, da klebt Schnittke großflächige Klangplakate.
Was in seinem halb- bis viertelszenischen Konzept durchaus plausibel ist. Der Tenor Steve Davislim erzählt ambitioniert, Arutjun Kotchinian als Faust schart mit profunder Bass-Autorität die Studenten zum Abschied um sich, Countertenor Artur Stefanowicz und Mezzo Malgorzata Walewska teilen sich die Partie des hysterisch-bösartigen Mephisto. Und um diese Klischees ging es Schnittke schließlich.
-- "Eine negative Passion" --
Dies sei "eine negative Passion", sagte er über sein Werk. Denn es behandle den Leidensweg eines, "wenn auch nicht Anarchisten, so doch bösen Christen". In der Vorlage von Johann Spies starb Faust noch "als ein guter und böser Christ". Aber solcherlei Dialektik hat bei Schnittke keinen Platz mehr, bietet musikalisch auch weit weniger Angriffsfläche als etwa das schreckliche Ende des Faust, dieses Schlachtfest im Namen des Allmächtigen, "die Stuben voller Bluts gespritzt", "das Hirn klebte an der Wand", "es lagen auch seine Augen und etliche Zähne allda" - das ist wunderbare Votivbildmalerei, und auch Schnittkes kraftvolle Vertonung ist da der Volksseele näher als die meisten Passions-Komponisten, und mental ganz sicherlich sehr weit weg von Bach.
(...)

AZ vom 08.06.2009
Das Stolpern nach dem Teufelspakt
Die Münchner Philharmoniker mit Schnittkes "Faust" und Schönbergs Brahms
"Faust" in Musik gesetzt - da denkt man Berlioz oder Gounod, nicht aber an den Russen Alfred Schnittke (1934-1998), dessen Faust-Kantate sich im Gasteig als herrlich unkompliziertes, gelegentlich vulgäres, auf jeden Fall aber zeitgemäß effektvolles Event präsentierte. Gleich zwei Teufelchen, ein Countertenor (Artur Stefanowicz) und ein Mezzo (Malgorzata Walewska), durften den Helden nachhaltig drangsalieren und das Publikum hinterfotzig-heuchlerisch einlullen.
Schnittke hat die 1983 uraufgeführte Kantate später in seine Oper "Historia von D. Johann Fausten" eingefügt. Musikalisch reicht der Bogen von Rezitativen im Stile der Passionen Bachs über energische Choräle, vom Philharmonischen Chor imposant in den Raum geschmettert, bis hin zum Pop-Song-Pathos des triumphierenen Weibsteufel: (...)
Dirigent Andrey Boreyko, energisch unterstützt vom Organisten Friedemann Winklhofer, hatte alles im Griff, auch nach der Pause die Schönberg-Bearbeitung des Klavierquartetts op.25 von Brahms. (...)


13./14./15.05.2009 | Philharmonie im Gasteig
George Crumb: Star Child
Dirigent: Dennis Russell Davies

AZ vom 16./17.05.2009
Die Münchner Philharmoniker im Gasteig
Zwei Fanta für ein Halleluja
Hartnäckige musica-viva-Gänger rümpfen die Nase über die zeitgenössischen Bemühungen der Münchner Philharmoniker. Das ist ungerecht. Natürlich klingt das Cellokonzert von Benjamin Yusopovs wie Filmmusik. Aber der Walzer hat was, und das orgiastische Delirium des dritten Satzes packt unmittelbar. Die blockhaften Wirkungen gehen mit dem Soloinstrument gnädig um, und Mischa Maisky, dem das Werk gewidmet ist, beeindruckte in seiner Coolness das Publikum des Jugendkonzerts.
Auch George Crumb's aus dem Urnebel aufsteigendes, später apokalyptisch donnerndes und zuletzt himmelhoch jauchzendes Oratorium "Star Child" von 1977 ist wegen seiner spektakulären Riesenbesetzung und der raumklang-Effekte für junge wie ältere Ersthörer gut geeignet. Dennis Russell Davies motivierte die Münchner Philharmoniker, den Philharmonischen Chor, den überraschend guten Kinderchor des Gärtnerplatztheaters und die Posaunistin Jessica Buzbee vom Iceland Symphony Orchestra zu einer Höchstleistung. (...)

tz vom 16.05./17.05.2009
Von Mensch zu Mensch
Die Versuchung ist groß zu sagen: Das war schon ein bisserl plakativ, wie Benjamin Yusupovs Cellokonzert vom Leid des Künstlers an der Welt erzählte. Das war eher ein Genre-Bild. Ein Schein-Schostakowitsch. ein Musical-Mahler.
Doch wenn ein großer Künstler wie Star-Solist Mischa Maisky das (ihm gewidmete) Werk ernst nimmt, darf man das auch. Und wie er sich da rein warf, wie er seine sensible Cello-Stimme schluchzen, jauchzen, aufschreien ließ! Das eben ist aber die Qualität des Stücks: Es spricht, es begreift Musik sehr unmittelbar als Kommunikation.
Und das war es auch, was die Aufführung von George Crumbs Star-Child großartig machte. Ungleich komplexer, aber unter Dennis Russell-Davies (und drei Sub-Dirigenten) blieben die Kräfte der Münchner Philharmoniker stets auf den Punkt gebündelt, herrschte Klarheit über das große Ganze.
Zwischen fernem Klang der Sphären und dem galoppierenden Wahnsinn der Apokalypseverlor sich nie die Eindringlichkeit der Stimmen (bravo: Sopran Silvia Spinnato). Bei allen Anflügen von Verquastheit: Es redete vom Menschen zum Menschen.

Münchner Merkur vom 15.09.2009
Philharmoniker
Konzert für Ketten, Lineale und Topfdeckel
Gleich vier Dirigenten für ein einziges Konzert? Das dürfte man nicht allzu oft erleben. Genau so viele Taktschläger braucht es aber beim "Star Child" von George Crumb, mit dem die Münchner Philharmoniker ihr aktuelles Konzertprogramm beschlossen. Im Gastieg war also vor allem fürs Auge eine Menge geboten, verlangt Crumb doch neben so profanen "Instrumenten" wie Ketten, Topfdeckeln und Linealen eine speziele Anordnung der Musiker, die teilweise sogar auf unterschiedlichen Ebenen des Saales postiert waren. Kein Wunder dass Dirigent Dennis Russell Davies zumindest für dieses Wrk die Führungspositionmit drei jungen Kollegen teilen musste, die mit vereinten Kräften die vielfach verschachtelte Komposition detailgenau umsetzten. (...)

klassikinfo vom 15.05.2009
Groß aufgeputztes Sternenkind
Unter Dennis Russell Davies spielten die Münchner Philharmoniker in der Philharmonie im Gasteig ein mutig-modernes Programm, darunter George Crumbs Klangspektakel "Star Child".
Das Programm, das Dennis Russell Davies bei seinem Gastspiel bei den Münchner Philharmonikern dem Publikum bot, war ebenso ausgefallen wie mutig. Kaum ein Orchester wagt sich an George Crumbs ausuferndes, ominös theologisches Klangspektakel "Star-Child" aus dem Jahr 1977 - ein Auftragswerk für die New Yorker Philharmoniker, von Pierre Boulez uraufgeführt. Die Münchner Philharmoniker waren darüber hinaus so mutig, das Werk ins "normale" Aboprogramm zu integrieren. Und es hat funktioniert. Das hiesige Publikum ist keineswegs so konservativ, wie es oft gescholten wird. Für wachsende Offenheit und Neugierde haben die Philharmoniker selbst in den zurückliegenden zehn bis zwanzig Jahren Entscheidendes geleistet, besonders unter Thielemanns Vorgänger als Chefdirigent, James Levine.
Die in sechs Abschnitte gegliederte Partitur von "Star-Child" sieht verschiedene Orchestergruppen vor, die von verschiedenen Dirigenten geleitet werden müssen - um die musikalische Reise von der Apokalypse im irdischen Jammertal in die Astralgefilde einer tröstlichen Transzendenz ("Hymnus für das neue Zeitalter") zu veranschaulichen. Kein leichtes Stück in seiner strukturellen und rhythmischen Komplexität und seiner ansprüchlichen inhaltlichen Dimension. Doch ist es ein Werk von großer Intensität und Eindringlichkeit, das die Philharmoniker engagiert interpretierten - nebst dem hervorragend einstudierten Kinderchor des Münchner Gärtnerplatztheaters, dem Philharmonischen Chor und der Sopranistin Silvia Spinnato. (...)

Ankündigung am 12.05.2009 auf der Homepage von B4 Klassik:
Musikalisierte Verherrlichung
George Crumbs "Star-Child"
George Crumb zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten. Mit "Star-Child" schuf der Amerikaner sein Maximum Opus, nicht nur was die Besetzung angeht. Die Münchner Philharmoniker führen dieses monumentale Werk morgen abend in der Münchener Philharmonie auf.
Der Dirigent Dennis Russell Davies leitet die Münchner Philharmoniker, deren Musiker im Raum verteilt mit Beteiligung eines gewaltigen Schlagzeugensembles spielen.
George Crumb feiert in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag. Für ihn ist die Musik das Ausdrucksmedium elementarer Menschheitsthemen wie Natur, Leben, Tod und des Mysteriums, das sie umgibt. Die Beschäftigung mit den Motiven "Sternengesang" und "Kinder des Lichts" gipfelt in seinem monumentalen Orchesterwerk "Star-Child", einer Parabel für riesiges Orchester, Sopran, Kinder- und Männerchor.


19.04.2009 | Regentenbau Bad Kissingen
Carl Goldmark: Merlin
Dirigent: Gerd Schaller

Fuldaer Zeitung vom 20.04.2009
Welt-Ersteinspielung in Bad Kissingen
Nahezu grenzenlos-jauchzender Jubel
erfüllte am Sonntagabend nach viereinhalb musikalisch wertvollen und meist auch spannenden Stunden den Max-Littmann-Saal des Bad Kissinger Regentenbaus.
Das zumeist enthusiasmierte Publikum war vornehmlich Ohrenzeuge eines Ereignisses in der Opernwelt geworden. Und das doppelter Hinsicht: 123 Jahre nach der Uraufführung am 11. November 1886 in der Wiener Hofoper wurde Carl Goldmarks vergessene romantische Oper „Merlin“ konzertant aufgeführt. Noch wichtiger allerdings ist, dass das Meisterwerk weltweit erstmals auf Tonträger eingespielt wurde, dass „Merlin“ endlich aus der akustischen Konserve genossen werden kann.
Das vokal und orchestral außergewöhnliche Konzert verhalf den diesjährigen Kissinger Osterklängen zu einem furiosen Abschluss. Uneingeschränktes Lob verdienten sich die durchweg vorzüglichen Solistinnen und Solisten, der ausgezeichnete Philharmonische Chor München, bestens präpariert von Andreas Herrmann, und die bravourös aufspielende Philharmonie Festiva mit hervorragenden Musici der drei führenden Orchester Münchens und den Bachsolisten als Kern. An erster Stelle muss Gerd Schaller genannt werden als „Vater“ dieser Produktion, der die Aufführung leidenschaftlich-konzentriert dirigierte, die vielschichtige, farbenprächtige und kontrastreiche Partitur auskostete und die verschiedenen Zutaten des „klanglichen Schmelztiegels“ transparent machte.
Mit Superlativen überhäuft
Bei „Dissonanzenkönig“ Goldmark, 1830 geboren im ungarischen Keszthely und 1915 gestorben in Wien, hört man deutlich Wagner (vor allem „Tristan“), wird man erinnert an die Grand Opéra von Meyerbeer und an italienischen Belcanto. Dessen ungeachtet pflegt Goldmark, der zu den außergewöhnlichsten Komponisten des 19. Jahrhunderts zählt und zu Lebzeiten mit Superlativen überhäuft wurde, eine unverwechselbar-ungewöhnliche Tonsprache mit eigenständigen Klangstrukturen und überraschenden Akkordkombinationen. Geprägt wird das Werk über die unselige Liebe des mächtigen Zauberers und Beraters des Königs Artus und der feenhaften Viviane von durchkomponierter Deklamation, von sehr anspruchsvollen Soli, von einem großen Liebesduett sowie von prachtvollen Chor- und Ensembleszenen. Das Gerüst der meisterhaften und effektvollen Instrumentierung bilden die virtuos behandelten Streicher, während Solo-Holzbläser Glanzlichter setzen.
Was auch den Solistinnen und Solisten gelang, allen voran der jungen dramatischen Sopranistin Anna Gabler (Viviane) und dem sich steigernden Heldentenor Robert Künzli (Merlin). Ebenso gut setzten sich in Szene die markante Mezzosopranistin Gabriela Popesco (Fee Morgana), die großvolumigen Baritone Sebastian Holecek (Artus) und Brian Davis (Lancelot), der gleißende Tenor Daniel Behle (Modred) und der nachtdunkle Bass Frank van Hove (Dämon). Sie alle kündeten von großen Gefühlen, von Liebe, Hass, Machtgier, Rachsucht und Hoffnung.
Das Kissinger „Merlin“-Hör-kunstwerk bescherte die beeindruckende musikalische Wiedergeburt einer wichtigen Oper und weckte intensive Neugierde auf Carl Goldmark. Vom genialen Grenzgänger und Musikdramatiker stammen sechs Opern, zwei Sinfonien, elf Kammermusik- und fünf Klavierwerke, Lieder und Overtüren. Also viele Möglichkeiten, um in die wundersamen Klangwelten eines fast Vergessenen einzutauchen.
Von unserem Redakteur Christoph A. Brandner


30./31.12.2008 | Philharmonie im Gasteig
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. IX, d-moll "Ode an die Freude"
Dirigent: Christian Thielemann

Rheinischer Merkur vom 08.01.2009
Kulturkulisse - Musik
München, Philharmonie: Sinfonie Nr. 9 von Ludwig van Beethoven
Längst ist das Werk den mit ihm veranstalteten Ritualen ausgeliefert. Beim Münchner Silvesterkonzert führte Christian Thielemann mit demonstrativ starker Hand die deftige Kraftentfaltung der städtischen Philharmoniker vor Ohren. Von Anfang an arbeiteten die Musiker mit höchster Präzision und überbordendem Eifer. Straff dann auch das Durchstreifen des Chaos zu Beginn des Finales, das in Schillers „Ode an die Freude“ kulminiert. (...) neben dem Tenor Jonas Kaufmann triumphierte der Philharmonische Chor über eine gewaltig lärmende Kapelle. Einfach grandios!

SZ - Feuilleton vom 02.01.2009
Chaos ist, wo ich nicht bin
Kraft und Ordnung: Christian Thielemann und die Münchner Philharmoniker zelebrieren mit Beethovens Neunter die Macht des Seriösen
Es ist eine gute Münchnerische Tradition, den Jahreswechsel mit Beethovens Neunter Symphonie zu begehen, und so dem kalendarischen Termin eine kulturelle Dimension zu verleihen. Es ist auch ein vergleichsweise kleiner, nichtsdestoweniger lautstarker Protest gegen die Übermacht des allzu Weihnachtlichen in dieser Zeit. Vom Konzertereignis selber, zumal dessen musikalisch-künstlerischem Ergebnis, erwartet man gemeinhin nichts Übernatürliches, auch wenn man weiß, dass die Münchner Philharmoniker, auch und gerade unter ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann, zu den besten Orchestern der Welt zählen dürfen und im klassisch-romantischen Repertoire deutscher Prägung ein deutliches Wörtchen mitzureden haben. (...)
Es geht ihm im Großen wie im Detail um eine ordnende Hand, und er ist hörbar stolz darauf, dass er diese väterliche Hand sein darf, aus der sich schließlich die künstlerische Kraft einer solchen Aufführung entwickelt. Kraft und Ordnung, daraus speisen sich Thielemanns energetischen Ströme.
Die Münchner Philharmoniker jedenfalls schienen an diesem Abend dafür empfänglich zu sein, präzise und beinahe überschwenglich intonierten sie den Kopfsatz, (...) Und der an Haydn gemahnende, kurze klangchaotische Beginn? Der war Thielemann gar nicht geheuer, da suchte er sofort mit straffer Hand zu regeln, was dann ohnehin in geordnete Bahnen floss. Beethoven kann man nicht austricksen, nicht einmal am Ende, wenn nach dem kleinbürgerlich-pathetischen, freudig verschlungenem Singsang - mit einem ausgezeichnet vorbereiteten philharmonischen Chor und einem mittelmäßigen Solistenquartett - dann doch wieder Chaos ausbricht in der Partitur (...)
HELMUT MAURÓ

AZ-Kultur vom 02.01.2009
Herrgott! Das Fagott fand fast zur Freude nicht
Zum Jahreswechsel im Gasteig: Christian Thielemann dirigierte Beethovens Neunte
Das Hymnische, Monumentale entsteht bei der berühmtesten aller Symphonien wie von selbst. Viel schwieriger sind die leisen Stellen zu entdecken, denen Christian Thielemann mit den Münchner Philharmonikern einzigartig nachspürte: Den friedvollen aber zugleich vor Spannung brodelnden Ruhepunkt der Bläser etwa, bevor düstere Trauermarsch-Rhythmen den ersten Satz der Neunten düster beschließen.
Zuvor gipfelte das einleitende Allegro ma non troppo mit furtwänglerndem Paukendonner bei der Wiederkehr des gezackten Themas am Beginn der Reprise. Aber Thielemanns Beethoven kehrt nicht allein restaurativ zur romantischen Sicht zurück. Der Dirigent verbindet diese mit Eleganz zu einer einmaligen Synthese, die wegen des besseren Zusammenspiels der Bläser noch stimmiger wirkte als bei der Aufführung zum Stadtgeburtstag im Juli.
Thielemann betonte nach dem Drama des ersten Satzes, der Hetzjagd des zweiten und der verinnerlichung im dritten den Neuanfang: Die Schreckensfanfare hängte er ohne Unterbrechung noch ans Adagio an. Erst vor dem instrumentalen beginn der Hymne in den tiefen Streichern riskierte er eine lange, ungem,ein schlüssige Atempause. Wie im Sommer ging das skeptische Fagott dann noch lange von der Freudenmelodie unbeeindruckt eigene Wege, ehe es vom Jubel überzeugt wurde.
Nicht viele Dirigenten gewähren Nebenstimmen so konsequent ihr eigenes Recht. Auch das ist ein unkonventioneller Zug in Thielemanns Deutung, die sich nicht ins Klischee vom Beethoven-Reaktionär fügt. Albert Dohmen (Bass) rief etwas angestrengt nach anderen Tönen. Jonas Kaufmanns baritonaler Tenor strahlte wenig siegreich, die Damen Ricarda Merbeth (Sopran) und Mihoko Fujimura (Alt) taten bestens ihre Pflicht.
Der von Andreas Herrmann einstudierte Philharmonische Chor überraschte mit homogener Klanggewalt und unforciert schönen Sopranstimmen selbst in extremen Lagen. Zum Schlussakkord ging Thielemann ins Knie, um Stille zu erzwingen. Dann lag ihm das Publikum begeistert zu Füßen.
ROBERT BRAUNMÜLLER

MM-Kultur vom 02.01.2008
Mit einem Mirakel gegen die Routine
Christian Thielemann und die Münchner Philharmoniker begleiten den
Jahreswechsel mit Beethovens Neunter
(...)
Christian Thielemanns Interpretation, schon mehrfach im Münchner Gasteig zu erleben, gibt ja dieser Götterfunken-Beschwörung jene Größe, jene Substanz, jene Dramatik zurück, die ob all der "originalen" Aufführungspraxis verschüttzugehen droht. Eine wohltuend anti-modische Haltung ist das.
(...)
Im Finale schließlich schien Thielemann Aufführungsklischees widerlegen zu wollen. Vorsichtig und nach einer überlangen Pause tastete sich das Freudenthema in die Symphonie, Schillers Verse drifteten nie ins
affirmative Gebrüll, das "Seid umschlungen" wurde vom Philharmonischen Chor in Bataillonsstärke sogar lyrisch-entspannt, fast verhalten formuliert
, bevor der Satz aufs Ende zustürzte. Aus dem
Solistenquartett ragte Tenor Jonas Kaufmann heraus, Ricarda Merbeth
(Sopran) und Mihoko Fujimura (Mezzosopran) sangen solide, was genau
Albert Dohmen (Bass) zu sagen hatte, blieb im vokalen Ungefähr. Jubel
- wann hat die Neunte schon mal nicht funktioniert?
MARKUS THIEL


11./12.11.2008 | Philharmonie im Gasteig
Mikolai Zielinsky: Magnificat
Krzysztof Penderecki: Cherubinischer Lobgesang
Henryk Mikolai Gorecki: Amen
Krzysztof Penderecki: "Seven Gates of Jerusalem"

Dirigent: Krzysztof Penderecki

SZ - Münchner Kultur vom 13.11.2008
Alterswucht
Penderecki dirigiert Penderecki bei den Philharmonikern
Mehr als zehn Jahre ist es her, da komponierte Krzysztof Penderecki seine siebte Symphonie. Die ist gar keine Symphonie, sondern ein Klangepos von biblischen Ausmaßen, als Geschenk zum 3000. Geburtstag Jerusalems. Vermutlich braucht es die Selbstgewissheit, einst einmal zur Avantgarde gehört zu haben, um es einem noch lebenden Komponisten zu erlauben, hemmungslos jeden durch erdenklichen Effekt in gut einer Stunde auszubreiten. Daran beteiligt sind ein dreifach aufgesplitterter Chor, ein riesiges Orchester, in dem auch merkwürdige Instrumente herumstehen wie die Tubaphone, die Penderecki neuseeländischen Ureinwohnern abschwatzte. Bei allem Reiz der Oberfläche: "Seven Gates of Jerusalem" wird in Wucht und Ernsthaftigkeit, aber auch in Drastik und Dramatik den alttestamentarischen Versen wunderbar gerecht, die ihm zugrunde liegen und auf vielfältigste Art vertont werden, mal als Klangmetapher, mal wortgenau, mal als Deklamation.
In der Philharmonie baute Penderecki aus seinem eigenen Material das himmlische Jerusalem, die Münchner Philharmoniker und der Philharmonische Chor waren seine höchst engagierten Baumeister. Ein phantastischer Bau entsteht da für eine glückliche Zeit, alle sind auf den Punkt genau dabei, so gibt es auch keine Macken und nichts fahrig Ausgeführtes, herrlich. (...)
EGBERT THOLL

MM - Kultur vom 13.11.2008
Klanggebilde mit Wucht
Leicht gemacht hat es sich Krzysztof Penderecki nicht gerade mit seinen "Seven Gates of Jerusalem". Einer ungewöhnlichen Mischung aus Sinfonie und Oratorium, die dem Wort "monumental" eine völlig neue Dimension verleiht und sich von ihrem logistischen Aufwand her wohl am ehesten noch mit Gustav Mahlers "Sinfonie der Tausend" vergleichen lässt. Derart groß ist die geforderte Besetzung, dass jetzt selbst in der geräumigen Philharmonie noch Teile von Chor und Orchester auf die seitlichen Zuschauerränge ausgelagert werden mussten. Um diese gewaltigen Massen zu bändigen, hatten die Münchner Philharmoniker den polnischen Komponisten nun höchstpersönlich ans Dirigentenpult gebeten, der sich der Herausforderung mutig stellte und am Ende zu Recht vom Publikum gefeiert wurde. Gelang es ihm doch, dieses urwüchsige Klanggebilde bei aller Wucht stets weich und nie wirklich brutal klingen zu lassen. Manchen mochte es vielleicht trotzdem oft ein wenig zu dick aufgetragen erscheinen. Doch anders als bei seinem Landsmann Górecki, dessen esoterisch angehauchtes "Amen" zusammen mit anderen A-cappella-Chören als Prolog vorangestellt war, bleibt die Musik Pendereckis mit jedem Takt in der Erde seiner Heimat verwurzelt.
TOBIAS HELL

AZ - Kultur vom 13.11.2008
Singende Heerscharen und der gewisse Kick
Reiches Farbspektrum, starke Kontraste: Krzysztof Penderecki in der Philharmonie
Ständig dreschen alle auf die arme Philharmonie ein. Und nicht selten haben wir an dieser Stelle mitgeprügelt. Was man dabei gerne vergisst: Es gibt ja Musik, die sich in diesen Weiten wohlfühlt. Richtig wohlfühlt.
Denn wenn Krzysztof Penderecki seine Heerschaaren aufmarschieren lässt, um die "Sieben Tore Jerusalems" zu besingen, funktioniert plötzlich die Akustik, dann ist das vordere Drittel samt Seitenrängen mit Massen von Sängern wie Musikern gefüllt, und der Klang strömt. Wohlproportioniert.
Vom mächtigen "Magnus Dominus", mit dem der Philharmonische Chor die Phongrenzen abstecken durfte, bis zu den feinen, in die Höhe fliehenden Streicher-Glissandi oder den Klagen der Piccoloflöte. Auf engstem Raum rieben sich die Kontraste, und die Münchner Philharmoniker durften ihr reiches Farbspektrum ausbreiten - über sieben packende Sätze hinweg.
(...) cig


Zur Vorstellung des Programms der neuen Saison 2008/2009 schreibt der Münchner Merkur (Kultur) in seiner Ausgabe vom 14.03.2008:

Galaktisch gute Stimmung
Für Generalmusikdirektor Christian Thielemann ist es die fünfte Spielzeit an der Isar: Gestern präsentierten die Münchner Philharmoniker das Programm der Saison 2008/ 2009.

Allein die Sitzordnung spiegelt den Stimmungswechsel wider: 2007 saßen Thielemann und der damalige Intendant Wouter Hoekstra aus Sicherheitsgründen durch einige Plätze getrennt auf dem Podium, heuer darf der Neue direkt neben dem Maestro Platz nehmen: Paul Müller ist seit erstem März Hoekstras Nachfolger. Dem Ex-Manager der Bamberger Symphoniker eilt ein guter Ruf voraus, Thielemanns Eröffnungssatz entfaltet daher vielsagende Bedeutung: „Endlich liegt die intendantenlose Zeit hinter uns.”
Aufatmen also bei den Philharmonikern. Ins Programm der nächsten Saison konnte sich Müller allerdings, bedingt durch die lange Vorlaufzeit, nur punktuell einmischen. Es ist, wer auch immer dafür verantwortlich ist, vielseitig ausgefallen - mit gleich mehreren Abstechern ins Repertoire des 20. Jahrhunderts: Krzysztof Penderecki dirigiert wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag im November seine „Seven Gates of Jerusalem”. Der 100. Geburtstag von Olivier Messiaen (Dezember 2008) wird mit drei Programmen gefeiert.

Und der Saison-Gipfel stammt ebenfalls aus dem letzten Säkulum (auch wenn man es dem Werk nur bedingt anhört): Richard Strauss‘ „Rosenkavalier” in einer konzertanten Aufführung und einer „galaktisch guten Besetzung” (Thielemann) soll den Auftakt bilden zu mehreren Opernprojekten. Diese entstehen in Zusammenarbeit mit dem Festspielhaus Baden-Baden, wo das jeweilige Stück szenisch herauskommt. Für den „Rosenkavalier” wird dort die Inszenierung des 2002 verstorbenen Herbert Wernicke, die er 1995 in Salzburg herausbrachte, aufgefrischt.

Thielemann setzt in der kommenden Saison seine Beethoven- und Bruckner-Anstrengungen fort, ebenso den Zyklus mit Strauss-Orchesterliedern. Und Pfitzner-Jünger sind nach wie vor bei Münchens GMD am besten aufgehoben: Unter anderem dirigiert er die symphonische Trilogie aus „Von deutscher Seele”. Auffallend ist, dass 2008/ 09 kein Experte aus dem Barockbereich am Pult steht und dass die Philharmoniker durchwegs auf ihren eigenen Chor vertrauen - und nicht die Profi-Konkurrenz vom Bayerischen Rundfunk bemühen.

„Medienmäßig”, wie sich Thielemann zudem ausdrückte, „nimmt das alles eine sehr gute Wendung”. Demnächst erscheint das Brahms-Requiem auf CD, Bruckner und „Rosenkavalier” werden in Baden-Baden für DVDs mitgeschnitten. Nur an René Papes zurückliegenden Wagner-Konzerten scheint man noch zu puzzeln: Die Produktion liegt vorerst auf Eis.

Und welche programmatische Linie der neue Intendant verfolgt, ließ sich ihm noch nicht entlocken. Offenbar setzt Paul Müller auf Kontinutität: „Das Rad neu zu erfinden, ist nicht meine Sache, es interessiert mich auch nicht.”

Markus Thiel

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