Saison 2006/2007
24.06.2007 | Schlosskirche Wolfegg
Joseph Haydn: Theresienmesse
Dirigent: Manfred Honeck
Schwäbische Zeitung vom 27.6.2007
Musik in Wolfegg reflektiert barocke Welterkenntnis
Ein klug austariertes Programm bildete den Abschluss der 18. Internationalen Wolfegger Konzerte am vergangenen Sonntag in der Schlosskirche. Nach Vivaldis selten zu hörendem "Stabat Mater" gelangte Haydns "Theresienmesse" zur Aufführung.
Dorothee L. Schäfer
Dass Vivaldis verinnerlichte Marienklage am Anfang stehen musste, erschloss sich mit der Wahl des zweiten, festlich repräsentativen Werks wie von selbst. Manfred Honeck leitete umsichtig die frisch aufspielende „Camerata Wien“, die mustergültig sensibel Sänger und Chor untermalte.
Etwas ganz Besonderes ist dieses „Stabat Mater RV 621", das noch berühmtere .Vorbilder von Palestrina oder Scarlatti kennt und später auch von Pergolesi, Rossini und Dvorák vertont wurde, schon in der Anlage eines Sologesangs, der die in Strophen angelegte Liedform mit der Arie der Kantate verknüpft. Eigentlich ist Vivaldis "Stabat mater" für einen Altus geschrieben und wird üblicherweise nur von einer Solistin, einer Altstimme, gesungen.
Da Honeck an diesem Abend aber über zwei wundervolle Stimmen verfügte, ließ er sie nacheinander zu Wort kommen, indem er den ersten bis dritten Satz mit dem Text des vierten bis sechsten Satzes wiederholte. So kam der brillante und weit reichende Sopran von Simona Saturova im ersten Teil zum Tragen: in dieser biegsamen Stimme schwangen alle Nuancen von tiefem Leid, von Entsetzen, Verzweiflung und Trauer, von mütterlicher Liebe und Seelenqual.
Stück mit dichter Emotionalität
Ab dem ,Largo’ „Eia mater" verlieh der kräftig dunkle Mezzosopran von Gerhild Romberger dem Stück die dichte Emotionalität einer leiderfahrenen Frau. Dieser Wechsel von Stimmen hatte einen großen Reiz und das Werk berührte in seiner Innigkeit und herzzerreißenden Trauer so sehr, dass die Pause zwischen beiden Werken ruhig noch Minuten länger hätte dauern dürfen.
So war man kaum schon gefasst auf Chortutti, Orchester und Soli, mit welchen Joseph Haydns „Messe B-Dur", gleich zu Beginn aufwartete. Der Name „Theresienmesse" hat nichts mit dem Kaiserhof zu tun, da die Besetzung mit lediglich zwei Trompeten und zwei Klarinetten nur für einen kleineren Rahmen angemessen erscheinen. Im vorbildlichen Zusammenklang der vier Solisten, die alle eine beeindruckende Biographie vorweisen können mit dem großartig agierenden Philharmonischen Kammerchor München geriet Haydns Messe in Wolfegg zu einem musikalisch leuchtenden Ereignis, das die Zuschauer begeisterte.
17./18.06.2007 | Philharmonie im Gasteig
Jean Sibelius: Kullervo-Symphonie
Dirigent: Jukka-Pekka Saraste
Klassikinfo.de vom 17.6.2007
Düstere finnische Saga
"Kullervo" zu Sibelius' 50. Todestag in der Philharmonie
Klaus Kalchschmid
Gerade mal 26 Jahre alt war Jean Sibelius, als er die Symphonie
für Mezzosopran, Bariton, Männerchor und Orchester "Kullervo" op. 7 nach einer Episode aus dem finnischen Nationalepos "Kalevala" komponierte. Seine erste reine Instrumental-Symphonie sollte noch sieben Jahre auf sich warten lassen. Schon bald nach der Uraufführung 1892 zog der Komponist allerdings die Partitur von "Kullervo" zurück, plante lebenslang eine Überarbeitung, auch eine Veröffentlichung der einzelnen Sätze als separate
sinfonische Dichtungen. Dazu ist es nie gekommen, und die Partitur wurde erst 1966 gedruckt. Umso schöner, dass "Kullervo" auf dem CD-Markt in exzellenten Einspielungen präsent ist und jetzt von den Münchner Philharmonikern unter Jukka-Pekka Saraste nicht nur eine Live-Aufführung gewagt wurde, sondern diese auch noch exemplarisch gelang.
Schon die ersten beiden instrumentalen Sätze, eine weit gespannte Einleitung und die Beschreibung der schweren Jugend des Helden Kullervo, überzeugten durch eine orchestrale Glut, die mal dunkel, mal wie aufbrechende Lava intensiv leuchtete. Richtig packend und unter die Haut gehend wurde es mit Einsatz der 69 Stimmen des finnischen Männerchors Otaniemen Kaiku und des Philharmonischen Chors mit ihrer mehrfach wiederkehrender Beschwörung "Kullervo Kalervon poika", zu deutsch: "Kullervo, der Sohn Kalervos ...". Wie da die Kraft eines Mannes und der ihn umgebenden Natur, seine Verführungskunst und schließlich ein ungewolltes Inzestdrama musikalisch beschworen wurden, geriet dank Chor und Orchester, aber auch dank der beiden Solisten Jorma Hynninen als viriler, ungeschlachter Kullervo und Solveig Kringelborn als seine zarte, sensible Schwester zum Ereignis.
Wenn am Ende beide ihre Sehnsucht nach dem Tod schildern und diese musikalisch geradezu übermenschliche Gestalt annimmt, klingt dies ergreifend, ja geradezu niederschmetternd.
Satu Rakkolainen, Dozentin für Finnisch an der Ludwig-Maximilians-Universität München, schrieb:
Lieber Prof. Herrmann,
ich möchte Ihnen ein ganz großes Lob aussprechen: Das gestrige Konzert war ein großer Genuss, was den Gesang des Chores betrifft. Die Aussprache war sehr schön und insgesamt reines und feines Finnisch. Man merkte (...) dass Sie sich wirklich Mühe gegeben haben und die Aussprache einer fremden Sprache gründlich studiert haben. Das hat jeder Finne im Publikum gemerkt und gespürt und kann das sehr schätzen.
Tuula Frische, die finnische Leiterin des Betriebsbüros des BR-Symphonieorchesters, schrieb:
Herr Länsiö lobte Herrn Herrmann und den Philharmonischen Chor bis zum
Himmel und wirklich zu recht. Auch ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ein deutscher Chor diese ausgesprochen schwierigen Texte derart perfekt singen kann. Laut Herrn Länsiö haben die Chorsänger sich äußerst professionell vorbereitet und sich sehr reingehängt. Er fand den Chor entschieden besser als die besten finnischen Männerchöre, die bei dieser Sinfonie meistens herangezogen werden.
Herr Hynninen meinte auch, daß diese Aufführung wieder ganz andere
Dimensionen eröffnet hat und war von Ihrem Chor ebenfalls total begeistert. Er selbst war ja souverän.
SZ (Feuilleton vom 23./24.6.2007)
Bildungsfragen und Inzest
Jukka-Pekka Saraste dirigierte Sibelius' "Kullervo" in München
Kristina Maidt-Zinke
(... ) Verblüffend wandlungsfähig agierte der Männerchor in der Rolle des Erzählers: Das Ensemble Otaniemen Kaiku verstärkt durch (...) Herren des Münchner Philharmonischen Chors, stürmte und stampfte wie holzgeschnitzt durch die Verführungsszene, um im fünften Satz plastisch und klangflexibel von „Kullervos Tod“ zu berichten. (...)
15./16.04.2007 | Philharmonie im Gasteig
Giuseppe Verdi: Opernchöre aus
- Jerusalem
- I Lombardi
- Macbeth
- Don Carlo
- Nabucco
- Aida
Dirigent: Peter Feranec
SZ vom 17.04.2007
Fast wie Oper
Die Münchner Philharmoniker und ihr Verdi-Programm
von Stephan Schwarz
Daniele Gatti war krank und musste sich beim jüngsten Abonenntenkonzert der Münchner Philharmoniker, diesmal unterstützt vom Philharmonischen Chor München vertreten lassen. Statt seiner übernahm Peter Feranec (...)
Beliebte Opernschnipsel standen auf dem Programm und verlockten die Menschen in Scharen dazu, den Überraschungssommerabend lieber im Gasteig als im Straßencafé zu verbringen. Was dieses Konzert von kommerziellen Klassik-Superhits-Veranstaltungen unterschied, war die sympathische Gegenüberstellung mehr als bekannter Zugnummern wie dem "Gefangenenchor aus Nabucco" und dem "Triumphmarsch" aus "Aida" (...) mit ebenso reizvollen wie eindringlichen Opernpartikeln - die sich heute sicher einer Ähnlichen Popularität erfreuen könnten, wären die Werke, denen sie entnommen sind, nur ein wenig bekannter. Dies gilt vor allem für die (...) Ouvertüre zu Luisa Miller und die beiden Kreuzfahrerchöre aus den "Lombarden". (...)
Als eigentlichen Ausklang des Konzerts hätte man sich (...) auch den Beginn der Autodafé-Szene aus Don Carlo wünschen können, mit dem der erste Teil des Abends beendet worden war. Mit wahrhaft theatraler Geste und kraftvollem Ausdruck stellte sich hier wie an keiner anderen Stelle der Eindruck eines richtigen Opernbesuches ein.
AZ vom 17.4.2007
Hübsche Hexen
von Volker Boser
(...) Auf dem Programm im Gasteig: Orchestermusik und Chöre von Verdi. (...) Peter Feranec befehligte die Massen souverän und ohne Mätzchen. Ob "Aida"-Triumph oder Gefangenenchor aus "Nabucco" - exaltierte Effekte blieben ausgespart. Melodische Linien dominierten. Stets befand man sich in den Grenzen des guten Geschmacks, was keine Selbstverständlichkeit ist.
Der von Andreas Herrmann sorgfältig einstudierte Chor nutzte seine Chance. Das dunkle Timbre der Philharmoniker sorgte für zusätzlichen Reiz (...)
tz (Kultur) vom 17.4.2007
Bonbons von Verdi
von Thomas Willmann
(...) Die Opernpraxis des Ex-Bolschoi-Chefdirigenten Feranec ließ ihn tadellos, geschmacks- und effektsicher durch die Chor-, Ouvertüren- und Ballettnummernrevue steuern. Da fehlte nichts, auch nicht ein langer und verdienter Applaus und ein sichtlich zufriedenes Orchester: Die Münchner Philharmoniker hatten sich zu munterem Spiel und manch feinsinniger Stelle animieren lassen. (...) War die Religiosität der "I Lombardi"-Kreuzzügler noch Theater aus Pappmaché, entwickelte die innig atmende "Macbeth"-Vaterlandsliebe echte Tiefe.
Glanzpunkt auch für den Philharmonischen Chor, der insgesamt sehr detailgenau einstudiert wirkte. (...)
01.03.2007 | Philharmonie im Gasteig
Richard Wagner: Auszüge aus "Meistersinger"
- Tanz der Lehrbuben
- Wach-Auf-Chor
- Schlusschor
Dirigent: Christian Thielemann
Münchner Merkur vom 03./04.03.2007
Kerniges für die Mikros
Wagner-Häppchen von Christian Thielemann und René Pape
von Markus Thiel
(...)
In den Chorszenen gab es nie Ohrenbetäubendes, sondern pralle Pracht.
(...)
tz (Kultur) vom 03./04.03.2007
Filetierte Meistersinger
von Thomas Willmann
(...)
Christian Thielemann gelang beim Schlusschor Mächtigkeit ohne Ekel-Pathos.
(...)
AZ vom 03./04.03.2007
Verschollen in der Weite des Raumes
Philharmonie: Der Auftakt zu Thielemanns Wagner-Konzerttriologie
RBR
(...)
Nach der Pause ließes es Thielemann und der Philharmonische Chor auf der Festwiese kurz aber heftig krachen.
(...)
09./11.02.2007 | Philharmonie im Gasteig
Gustav Mahler: II. Symphonie
Dirigent: Zubin Mehta
Süddeutsche Zeitung (Münchner Kultur) vom 12.02.2007
Auferstehungsschlacht
Zubin Mehta und die Philharmoniker mit Mahlers Zweiter
von Wolfgang Schreiber
(...) Das Stück ist beliebt bei jedem philharmonischen Publikum, das ihm auch hier die Türen einrennt. Und es ist immer gut für die Bewährungsprobe in der größtmöglichen Chor-Orchesterbesetzung. Dass Mehta den Koloss souverän, fest und frisch in Geist und Händen halten kann, dass er alles technisch Kapellmeisterliche mit Sorgfalt bedenkt und einfach "drauf" hat, das wusste man vorher. Überrschen konnte höchstens, wie kraftgeladen Mehta, der unverwüstliche Siebziger, den erzählerischen Bilderreichtum der frommen Roman-Symphonie ausbreitete, als spreche sie seine eigene Sprache. Tatsächlich hat er das alles in frühen Jahren in seiner Musikheimatstadt Wien schier aufgesogen. (...)
Das Jüngste Gericht wird zur Entscheidungsschlacht (gekrönt vom ätherischen Sopran der Diana Damrau und dem Philharmonischen Chor unter Andreas Herrmann), die einer robusten Paradies-Vision weichen muss. Hier sorgen Glocken, Orgelbrausen und ein bis zum letzten Mann/Frau geforderter symphonischer Apparat für die Apotheose in Unsterblichkeit.
tz (Kultur) vom 12.02.2007
Auf der Mehta-Ebene
Die Münchner Philharmoniker unter ihrem Ehrendirigenten
von Heiko Jung
Kein Zweifel, es gibt sie wirklich: eine ganz besondere Mehta-Ebene im Musizieren der Münchner Philharmoniker. Mahlers zweite Symphonie unter dem Ehrendirigenten des Orchesters rüttelte mit kosmischer Kraft selbst an den massiven Stützen der Philharmonie - und wirkte doch als persönliche, im Kern sanfte und urmusikalische Stimme im Weltgeschehen.
Mehtas Geheimnis liegt im stetren, wachen Kontakt mit den Spielern. Kein Moment verstreicht. Dem Schritt aufs Podium folgt unmittelbar ein schockierend präziser, gestisch klarer Streicherauftakt, ein Eingangsstatement von atemberaubender Entschlossenheit und Schärfe.
Dieser Anfang prägt. Die Präsenz des Musizierens im Gasteig wirkt geradezu grafisch; wer zuhört, meint mitzulesen in der hochkomplexen Partitur, die vom Orchester in jedem Moment in ihre Einzelbestandteile aufgelöst und neu zusammengefügt wird. Mehta hat es vermocht, die große, von Celibidache geprägte schöpferische Kraft der Münchner Philharmoniker zu mobilisieren.
Auch andere sprechen aus Erfahrung: Marjana Lipovsek lässt im "Urlicht" ihre ganze sängerische Weltläugfigkeit durchleuchten, Diana Damrau zeichnet "Die Auferstehung" mit fein schattiertem Timbre. Der Philharmonische Chor (Einstudierung: Andreas Herrmann) entwickelt seine volltönigen Register aus klug nuanciertem, instrumentalhaftem Orgelklang. Am Ende ehrlich begeisterter Applaus.
Münchner Merkur (Kultur) vom 12.02.2007
Zubin Mehta: Lässig und nonchalant
Einfach baff: Die Münchner Philharmoniker und Mahlers Zweite
von Markus Thiel
Wenigstens bleibt er München erhalten. Wenn nicht mehr als Opern-GMD, dann eben als Ehrendirigent der hiesigen Philharmoniker, der sich dort die Rosinen herauspicken darf. Mahlers zweite Symphonie zum Beispiel, zu der auf de Gasteig-Bühne offenbar alles herbeigetrommelt wurde, was singen und spielen konnte, und mit der Zubin Mehta bewies: In diesem repertoire ist er, der frühere Wahl-Wiener, einfach daheim.
Mehta führte souverän vor, wie man ein Riesenensemble durch die Kolossalpartitur steuert. (...)
Mit Diana Damrau und Marjana Lipovsek hatte man Solistinnen gewonnen, die sich für diese Werk nicht besser denken ließen. Und der Philharmonische Chor fand nach dem ersten, konsonantenlosen und mulmigen "Aufersteh'n" zu großer Präsenz und substanzreicher Fülle. Jubel nach vier, fünf Schweigesekunden: Derartige Exzesse machen einfach baff.
30./31.12.2006 | Philharmonie im Gasteig
Ludwig van Beethoven: IX. Symphonie
Dirigent: Hartmut Haenchen
Süddeutsche Zeitung (Münchner Kultur) vom 02.01.2007
Auf die gute alte Art
von Sebastian Werr
Alle Jahre wieder: Silvester gibt es Beethovens neunte Sinfonie. Das Konzert der Philharmoniker war dennoch mehr als nur eine Pflichtübung, denn das viel gespielte Stück wirkte so frisch und zupackend, dass kein Moment Langeweile aufkam. Ein Revoluzzer ist Dirigent Hartmut Haenchen sicher nicht. Auch wenn er eine Lesart ohne jedes Pathos präsentiert und das Orchester in historischer Sitzordnung auf dem Podium der Philharmonie platziert, ist radikale Dramatik nicht seine Sache.
Haenchen stellt sich ganz unmaniriert hinter die Partitur Beethovens, deren Vielschichtigkeit er plastisch herausarbeitete; mit Ernsthaftigkeit, aber ohne zu romantisieren. Federnd und lebendig erklang der zweite Satz, während das folgende Adagio durch die sorgfältig modellierten Bläsersoli gefiel. Trotz großer Besetzung des vorzüglichen Philharmonischen Chors (Einstudierung: Andreas Herrmann) kam es im Finale nicht zur üblichen Monumental-Brüllerei; Haenchen gelang es vielmehr, das Überschwängliche der Schillerschen Utopien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit herauszuarbeiten. Aus dem Gesangsquartett überzeugten Robert Holl mit mächtig auftrumpfendem Bass und Heldentenor Stephen Gould, weniger die nicht allzu präsenten Linda Mabbs (Sopran) und Daphne Evangelatos (Alt). (...)
tz (Kultur) vom 02.01.2007
Das ganz und gar Unerwartete
Die Münchner Philharmoniker unter Hartmut Haenchen
Das soll der krönende Abschluss sein? Generalkmusikdirektor Christian Thielemann dirigiert nicht das traditionelle letzte Konztert des Jahres der Münchner Philharmoniker mit der Beethoven-Neunten. Sondern Hartmut Haenchen, der erst kürzlich mit einem nur brav-biederen Abend debütiert hatte. Und was passiert in der vollen Philharmonie? Das gänzlich Unerwartete.
-- Glücksfall für die Neunte: Hartmut Haenchen --
Die Musiker spielen einen Beethoven, wie wir ihn unter Thielemann noch nicht gehört haben: blitzsauber, ohne Pomp und Pathos, transparent, klar, leuchtend und energetisch. Haenchen erweist sich als Glücksfall für die Sinfonie aller Sinfonien. Ohne dräuende Tiefenbohrung bleibt er genau am Notentext, hält die Zügel straff, ohne zu gängeln, schweißt das organische Orchester zusammen (betörend: das Holz). (...)
02./03.10.2006 | Philharmonie im Gasteig
Franz Schubert: Missa solemnis in As-Dur
Dirigent: Hartmut Haenchen
Süddeutsche Zeitung (Münchner Kultur) vom 04.10.2006
Musikfest - Die Philharmoniker begeistern unter Hartmut Haenchen
von Klaus Kalchschmid
Felix Mendelssohn-Bartholdys „Reformations-Symphonie“ aus dem Jahr 1829, danach Schuberts große „Missa Solemnis“ in As-Dur von 1822 – programmatischer und ökumenischer kann ein Konzert kaum sein. Doch Hartmut Haenchen strebte bei seinem ersten Konzert mit den Münchner Philharmonikern im Gasteig nicht das Naheliegende an: Mendelssohns luzide Dramatik und Schuberts subtiles Pathos einander anzunähern. Stattdessen wirkte die Mendelssohn-Symphonie, als wäre sie auf Originalinstrumenten gespielt, sehnig gespannt, vibratoarm und plastisch artikuliert in den Streichern, pointiert in den Bläsern – „sprechend“ musiziert. Das machte aus dem Scherzo ein heiteres Intermezzo und nahm wundersamerweise jeder Steigerung und selbst der Choralvariation des Finales alles unnötige Gewicht.
Schuberts große, feierliche Messe dagegen war ganz aus dem Geist Beethovens und noch mehr Bruckners musiziert, mit einem groß besetzten Philharmonischen Chor, einer akustisch stets präsenten Orgel und Klangballungen, die Schuberts Melos ins Überdimensionale steigerten. Seine harmonischen Kühnheiten wurden üppig garniert auf einem Silbertablett präsentiert. Das soll keineswegs heißen, der exzellente Chor hätte nicht piano singen dürfen, aber die Artikulations- und Ausdrucksintensität, die von ihm gefordert wurde, und das gleichsam eigenständige Musizieren, das den Solisten Alexandra Coku, Monica Groop, Christian Elsner und Michael Volle gestattet wurde, war doch außergewöhnlich. Und auch das Orchester konnte ungebremst aus sich herausgehen, entfaltete Bläser- und Streicherglanz fast ein bisschen zu grandios. Daran musste man sich nach der ersten Hälfte und ihrem schlanken, ebenso strengen wie leichtfüßigen Musizieren zwar erst gewöhnen, aber der Wirkung von Franz Schuberts großartiger Messe tat das keinen Abbruch, auch nicht dem Wunsch, Hartmut Haenchen öfters am Pult der Philharmoniker zu erleben.
Münchner Merkur (Kultur) vom 04.10.2006
Bodenhaftung - Philharmoniker mit Hartmut Haenchen
von Tobias Hell
Restlos zufrieden war Felix Mendelssohn Bartholdy nie mit seiner „Reformations-Symphonie“. Gar verbrennen wollte er die Partitur, deren anfänglicher Misserfolg einen herben Rückschlag für den jungen Komponisten darstellte. Und doch lässt sich auch diesem posthum publizierten Werk ein gewisser Reiz nicht absprechen.
Beim Debüt am Pult der Münchenr Philharmoniker versuchte Hartmut Haenchen erst gar nicht, eventuell vorhandene Unebenheiten zu leugnen, sondern nahm die Partitur so, wie sie ist (Gasteig). Klar als Zitate erkennbar blieben die eingeflochtenen musikalischen Anleihen – vom „Dresdner Amen“ bis hin zu Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ –, denen der Dirigent mit sorgsam gedehnten Tempi besonderen Nachdruck verlieh.
Trotz religiöser Thematik verlor Haenchen dabei jedoch nie an Bodenhaftung, und bot eine gewissermaßen säkularisierte Annäherung an das Werk, bei der lediglich das etwas holprige Scherzo leicht aus dem Rahmen fiel.
Obwohl im wahren Leben weit weniger religiös, nahm auch im Schaffen von Franz Schubert die Kirchenmusik einen großen Stellenwert ein. Dass der Komponist seiner As-Dur-messe den Untertitel „Missa Solemnis“ mit auf den Weg gegeben hat, schien den Dirigenten allerdings zu verleiten, mit einem Auge in Richtung Beethoven zu schielen.
Über der machtvoll ausladenden Wiedergabe geriet leider ein wenig ins Hintertreffen, dass auch Schuberts Werk durchaus über seinen ganz speziellen Qualitäten verfügt und teilweise recht unorthodoxe Wege verfolgt. Dafür aber hatte man mit Alexandra Coku, Monica Groop, Christian Elsner und Michael Volle ein Solisten-Quartett aufgeboten, das selbst dem äußerst präsenten Chor problemlos Paroli bieten und mit seinen Einwürfen starke Akzente setzen konnte.
AZ vom 04.10.2006 (kurz und kritisch)
Hartmut Haenchen und die Philharmoniker
von Volker Boser
Langsam kommt die Saison in Fahrt. Im Gasteig präsentierten die Philharmoniker ein Programm abseits des Mainstream, unspektakulär, aber heikel. Schließlich gehört die „Reformations-Symphonie“ von Mendelssohn nicht unbedingt zu den Meisterwerken romantischer Orchesterliteratur. Und auch Schuberts As-Dur-Messe kann daneben gehen: In ihrer Mischung aus Klangexperimenten und religiösem Pathos ist sie alles andere als leicht aufzuführen.
Der Dresdner Gastdirigent Hartmut Haenchen tat bei Mendelssohn das einzig Richtige. Dramatik statt erhobenem Zeigefinger – das Rezept stimmte. Leider gaben sich die Philharmoniker störrisch. Vor allem rhythmisch hätte man sich mehr Nachdruck gewünscht. Und auch die Abstimmung des Klangs ließ zu wünschen übrig, so wenigstens die Eindrücke auf einem Platz in Block I.
Vielleicht wurde aber auch der größere Teil der Probenarbeit auf die Schubert-Messe vewendet. Das Ergebnis konnte sich hören lassen. Chor und Orchester umschifften souverän die Klippen. Der Dirigent achtete darauf, jegliche frömmelnde Attitüde zu vermeiden. Und die Solisten (Alexandra Coku, Monica Groop, Christian Elsner und Michael Volle) hüteten sich vor opernhafter Theatralik. Der Einsatz lohnte sich. Selten hat man die Schönheiten dieses oft unterschätzten Meisterwerkes so eindringlich vernommen wie diesmal.