Saison 2002/2003

26., 27.10.2002 | Philharmonie im Gasteig
Ludwig van Beethoven | IX. Symphonie
Dirigent: Oleg Caetani

tz München vom 28. 10. 2002: Kultur
Geheimnisse entdeckt
Von Thomas Willmann
Beethovens Neunte – Worte, bei denen Klassikfans in ehrfurchtsvoller Erwartung erschauern. (...) Ordentliche Power vom Philharmonischen Chor half, den beglückenden Eindruck (...) freudefunkend über die Ziellinie zu tragen. Das Große an Caetanis bejubelter Leistung: Dem mythenbeladenen Koloss die Dimension des tief Menschlichen entlockt zu haben.


29.11., 01.12.2002 | Philharmonie im Gasteig
Arnold Schönberg | Moses und Aron
Dirigent: James Levine

Süddeutsche Zeitung vom 02. 12. 2002: Feuilleton
Chasanut
James Levine mit Schönbergs Oper »Moses und Aron« in München
Von Reinhard J. Brembeck
Die Wucht der Chorszenen erinnert an Giuseppe Verdi, die gelassene Laszivität im »Tanz ums Goldene Kalb« und in der nachfolgenden Orgie übersteigt die Phantasmagorien von Richard Strauss in Salomes »Tanz der Sieben Schleier« – sie scheint Flauberts »Salammbô« zu evozieren und die vielen Haremsbilder französischer Maler des 19.Jahrhunderts. Aber noch sehr viel deutlicher zu greifen ist das Vorbild für die Szenen mit Tenor und Chor. Das klingt, als wäre es für Gershon Sirota komponiert, den großen Cantor, oder für Richard Tucker, den großen Tenor, der auch als Cantor wirkte. Denn in diesen Passagen beschwört Arnold Schönberg nichts anderes als Cantillation und Chasanut, den jüdischen Liturgievortrag von Glaubenswahrheiten.
James Levine gelingt in der Münchner Philharmonie eine grandiose Deutung von Schönbergs erst vor 45 Jahren szenisch uraufgeführter Meisteroper »Moses und Aron«, die in München zuletzt vor 20 Jahren, an der Staatsoper, neu inszeniert wurde. Eine grandiose Deutung, weil sich der Dirigent dezidiert auf die Seite Arons schlägt, weil er die sinnliche Vermittlung dieser selbst für ein Profiorchester wie die Münchner Philharmoniker, mehr noch für MDR-Chor und Philharmonischen Chor immens schwierigen Partitur als zentrale Aussage begreift. Levine beschwört den Orient und damit die Wiege der mosaischen Religionen, er begreift die zwei Akte als in sich ausgewogen und stimmig, immer auch spannend, weil klangfarblich frappant durchgestaltet: Einheiten, die sich völlig selbst genügen.
(...)

Münchner Merkur vom 02. 12. 2002: Kultur – Aktuelles
Stimmungsvolles am Dornbusch
Passendes Bilderverbot: James Levine dirigierte Schönbergs »Moses und Aron« im Münchner Gasteig
Von Markus Thiel
(...) Dass Levine opernhafte Passagen, die Szenen ums Goldene Kalb also, besonders lagen, dass er gleißend-scharfe Effekte erzeugen ließ und oft mit plakativer Theatralik klotzte, Schönbergs Expressivität bis zur Schmerzgrenze ausreizte, war zu erwarten. Aber auch manch kontemplative Stimmung (Dornbusch-Szene!) gelang, in der sich Singen und Sprechen überlagern und in der Schönberg mit fein gestuften Klangflächen-Verschiebungen arbeitete.
(...) Hervorragend die übrigen Solisten, vor allem Michael Volle und Sergej Koptchak, Star des Abends war freilich der MDR-Chor (der von Mitgliedern des Philharmonischen Chores verstärkt wurde - Einstudierung: Andreas Herrmann). Gesprochenes, intonatorisch Heikles, die aufgewühlten, kompliziert verzahnten Volksszenen, all dies kam mit einer Präzision und Plastizität, die Ihresgleichen sucht. Begeisterter, leicht erschöpfter Applaus, (...)

Abendzeitung München vom 02. 12. 2002: Kultur
Espressivo-Triumph
Philharmonie: Jubel für Levine mit Schönbergs Oper »Moses und Aron«
Von Rüdiger Schwarz
(...) Die Münchner Philharmoniker, bekanntermaßen kein Spezialorchester für zeitgenössische Musik, haben den Spagat zwischen der immens schwierigen Kompositionsstruktur und ihrer unwiderstehlichen Aussagekraft souverän gemeistert. Zentrale Aufgaben dieses Konfliktdramas fallen aber dem vokalen Bereich zu, und hier hatte Levine bei der Besetzung eine ausgesprochen glückliche Hand. Klangkultur und Präzision des Rundfunkchores Leipzig sind zurecht weltberühmt. Zusammen mit dem Philharmonischen Chor München wurden emotionale Gewalten frei gesetzt, aber auch Ängste und Nöte eines Volkes deklamiert, die an Eindringlichkeit ihresgleichen suchten (Einstudierung: Andreas Herrmann). Die kleineren Solopartien waren mit Jennifer Welch-Babidge, Mark Schowalter, Michael Volle und Sergej Koptchak angemessen besetzt.
(...) Unvorstellbarer Jubel dann für ein Wagnis, das zum durchschlagenden Erfolg geriet.


30., 31.12.2002 | Philharmonie im Gasteig
Ludwig van Beethoven | IX. Symphonie
Dirigent: Christian Thielemann

Süddeutsche Zeitung vom 02. 01. 2003: Münchner Kultur
Laufet, Brüder, Eure Bahn!
Wie Christian Thielemann und die Münchner Philharmoniker in der Neunten Symphonie von Beethoven nach der Botschaft suchten
Von Gottfried Knapp
Nach dem rasenden Wirbel der »Götterfunken« am Ende des Finales blieb für ein paar Göttersekunden die Welt stehen: atemlose Stille in der Münchner Philharmonie – dann erst begann sich der Beifall zu formieren;
(...) die vier Solisten Melanie Diener, Petra Lang, Steve Davislim und Franz-Josef Selig auch die heikelsten Passagen mit Anstand bewältigten, der Philharmonische Chor (...), von Andreas Herrmann geschickt konditioniert, die Dimensionen zwischen Verzückung und Raserei in effektvollen Staffelungen zu durchmessen imstande war, (...)

Münchner Merkur vom 02. 01. 2003: Kultur – Aktuelles
Das Unerhörte dieser Symphonie
Münchner Philharmoniker: Thielemanns außerordentliche Neunte
Von Markus Thiel
(...) Als ob man sich nach jahrelanger Abstinenz des Stücks erinnerte und es wieder ausgrub, so tönte es nun im Gasteig bei Christian Thielemann. Frisch, spannend und aufregend neu.
Geschätzte 75 Minuten, und keine Sekunde davon driftete in die Beiläufigkeit. Thielemanns größtes Verdienst: dass er das Werk nachvollziehbar machte, dass er Entwicklungsprozesse, klangliche Kombinationen und atmosphärische Umschwünge verdeutlichte. (...) Alle Nuancierungen, die Thielemann den Philharmonikern abverlangte, wurden von diesen hingebungsvoll und mit hoher Spielkultur in den Saal gezaubert.
Schließlich der genau phrasierte Schlusssatz, der sich nicht auf »Wirkungen« verließ, nicht in gefällige Monumentalität glitt, sondern mit dem sehr prägnanten Philharmonischen Chor eine kluge Auslegung des Schiller-Textes bot, manchmal sogar, ganz überraschend, Instrumentationspointen à la Haydn aufblitzen ließ. (...)


23., 24., 25.05.2003 | Philharmonie im Gasteig
Igor Strawinsky | Cantata (Frauenchor)
Dirigent: Lothar Zagrosek

Münchner Merkur vom 26. 05. 2003: Kultur – Aktuelles
Der Welt entgegen
Lothar Zagrosek und die Philharmoniker
Von Andreas Grabner
(...) inspirierende Rätselhaftigkeit lag über dem siebten Theatergemeindekonzert der Münchner Philharmoniker unter Lothar Zagrosek.
Es stellte zwei Werke einander gegenüber, zwischen deren psychisch-emotionalen Sprachen Welten zu liegen scheinen. Von Schönheit und Anstoß des Spröden erzählte Igor Strawinskys Kantate für Sopran, Tenor, Frauenchor und kleines Orchester. Keine emotionale Lesbarkeit im herkömmlichen Sinne – die gängigen Ausdrucksformeln abendländischer Musik hat Strawinsky bewusst vorenthalten.
Interpretatorisch überzeugte Allison Browner in der Sopranpartie durch Transparenz und die Nuanciertheit des Muttersprachlers; Markus Schäfer war in den Weiten der Philharmonie die Tragfähigkeit seines kraftvollen Tenors von Vorteil.
Kammermusikalisch klar auch das Musizieren der Frauenstimmen des Philharmonischen Chores; am Ende ein Eindruck lichterfüllter Fremdheit (...)


05., 07.07.2003 | Philharmonie im Gasteig
Ludwig van Beethoven | Fidelio
(zusammen mit dem Madrigalchor der Musikhochschule München)
Dirigent: James Levine

Münchner Merkur vom 07. 07. 2003: Kultur
Starke Momente
James Levines konzertanter »Fidelio«
Von Markus Thiel
Vor allem das wird von der Ära Levine bei Münchens Philharmonikern im Gedächtnis bleiben: Konzertante Oper zum Saison-Endspurt, VIP-Solisten inmitten von Menschenmassen (auch wenn’s nur ein Wiener Klassiker ist) und ein Orchester, das sich wacker bis – wie hier – trefflich auf ungewohntem Felde schlägt.
Dass Beethovens »Fidelio« in ohrenbetäubenden Final-Jubel mündet, ist stückbedingt und liegt nicht unbedingt an James Levine – auch wenn er bei dieser Gasteig-Aufführung das Werk vom Ende her denkt, es als Musiktheater im gewichtigen symphonischen Aufriss begreift.
Hohe Vokalkultur
(...) Prominenz garantiert nicht unbedingt Ausnahmekunst: Ben Heppner (Florestan) hat offenbar seine Krise nicht ganz bewältigt, konzentrierte sich auf die klug phrasierte Arie, blieb sonst blass. Falk Struckmann stemmte mit knorrig-athletischem Bariton und merkwürdiger Diktion (»Er steräbä!«) den Pizarro. Eine Demonstration hoher Vokalkultur: der fast liedhaft gestaltete, latent aggressive Rocco von René Pape und Michael Volles ausdrucksstarker Minister. Karita Mattila sang die Leonore mit gedecktem, dunklem Sopranstrahl, verband lyrische Linienzeichnung mit emphatischer, stets geschmackvoller Dramatik – für das Doppelgesicht der kniffligen Partie eine musterhafte Besetzung. John Nuozo (Jaquino) und Hei-Kyung Hong, deren Sopran fast der Marzelline entwachsen ist, rundeten die luxuriöse Besetzung ab.
Dass man vom Philharmonischen Chor und vom Madrigalchor der Hochschule (im Unterschied zu den Solisten) fast jedes Wort verstand, ist schon paradox und zugleich Beleg für ein Meisterstück. Ovationen für Pape, Mattila und den Chor: Da wurde doch glatt den Opernfestspielen die Schau gestohlen.

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